Herr Dr. Vock, wenn man Sie kennenlernen möchte, muss man Sie persönlich treffen. Im Internet findet sich so gut wie gar nichts über Sie.
Das stimmt – und ist gewollt. Das kostete mich ein gutes Abendessen mit einem befreundeten IT-Spezialisten, der Unwichtiges über mich im Internet löschte. Diese Form der digitalen Privatsphäre ist mir wichtig.
Was dürfen wir denn wissen über die Privatperson Thomas Vock?
Ich stamme aus dem Aargau, ging in Zofingen zur Schule, wohne heute in Seengen. Ich bin verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.
Ihr LinkedIn-Profil verrät immerhin, dass Sie seit 2011 Leiter Anlagenmanagement der Berner Kantonalbank sind. Und davor?
Mein ganzes Berufsleben lang war ich im Investmentbereich tätig. Meine Sporen habe ich mir bei Hayek senior abverdient, genau in der aufregenden Zeit, als die erste Swatch auf den Markt kam. Die voll automatisierte Produktionsweise, die am Ende nur noch zwei Handgriffe erforderte, war damals revolutionär. Meine Aufgabe war es unter anderem, Führungen durch die Fabrik zu machen – und vorher allen Teilnehmern die Kameras abzunehmen.
Seit 2013 waren Sie Stiftungsrat, seit 2017 Präsident der Stiftungen. Worauf haben Sie Ihren Fokus gelegt?
Auf den Anlagebereich, was ja meiner beruflichen Kompetenz entspricht. Vorher hatten mir die Themen Legal und Compliance ein zu starkes Gewicht. Ich machte Druck, dass neue Produkte, vor allem illiquide Anlagen, stärker angepackt wurden.
Was bleibt in guter Erinnerung?
Es war eine spannende, schöne und intensive Zeit. Zu Beginn der Übernahme der Swisscanto Fondsleitung AG durch die Zürcher Kantonalbank knirschte manchmal der Sand im Getriebe. Da muss man sich austauschen, die Dinge auf den Tisch legen und darüber reden. Das haben wir gemacht und ich finde: ziemlich gut gemacht. Die Stiftungen sind gut unterwegs in einer schwierigen Zeit.
Was hilft Ihnen, wenn der Sand im Getriebe knirscht?
Meine Philosophie, die mir auch bei der Führung von Mitarbeitenden geholfen hat. Erstens begegne ich Menschen grundsätzlich positiv und werde erst misstrauisch, wenn ich enttäuscht wurde. Zweitens fördere ich Stärken, statt auf Schwächen herumzuhacken. Ich glaube, ein Unternehmen kann nicht mit Tempo 100 durch die Welt zuckeln, sondern muss 120 oder sogar hin und wieder 150 Sachen draufhaben. Und damit die Portfoliomanager Gas geben können, darf ich sie nicht gängeln, sondern muss ihr Coach sein und sie unterstützen. Asset Manager beispielsweise sind topqualifizierte Berufsfachleute. Man darf ihnen lediglich das Ziel erklären, aber nicht haarklein vorschreiben, wie sie es zu erreichen haben. Und man muss verstehen, in welchem Dilemma sie als Teil der Organisation stehen: Einerseits treffen sie Entscheidungen wie «ich kaufe morgen Nestlé-Aktien für 15 Millionen» oder «ich verkaufe für 5 Millionen», sind aber gezwungen, einen Kugelschreiber im internen Materialbüro zu bestellen. Wenn man sie zu stark ausbremst, fahren sie nicht 130. Und wenn die ganze Organisation bloss mit 80 unterwegs ist, wird sie von links und von rechts überholt.
Was muss passieren, damit die Vorsorge wieder in Fahrt kommt?
Die Umverteilung von den Jungen auf die Alten muss aufhören. Dafür muss der Umwandlungssatz weiter sinken. Ich bin durchaus liberal und für die Demokratie. Aber dass ich als Stimmbürger darüber entscheiden darf oder muss, welche Zinssätze beim Umwandlungssatz angewendet werden, ist doch verrückt. Vor zwanzig Jahren stand das Schweizer Vorsorgesystem in internationalen Ratings noch mit Holland auf Platz eins. Durch die unselige Politisierung sind wir auf den 12. Rang hinuntergefallen. Wir müssen einsehen: die Besitzstandswahrung der Alten geht nicht. Aber es fällt schwer, das Gewohnte aufzugeben.
Befürworten Sie die Sanierung um jeden Preis?
Selbstverständlich muss dafür gesorgt werden, dass Menschen im Tieflohnsegment aufgefangen werden. Aber die Selbstverantwortung wegnehmen und nur umverteilen? Das kann nicht die Lösung sein. Es ist hart, aber wir werden nicht ewig auf der Insel der Glückseligkeit wohnen. Es wäre gut, sich ab und zu in Erinnerung zu rufen, dass die Schweiz vor 100 Jahren noch ein armes Land war. Mein Vater ging abends als Kind oft hungrig zu Bett. Ein paar Generationen haben vieles richtig gemacht – und das steht jetzt auf dem Spiel.
Wie erreichen Sie die Jungen mit dieser Botschaft?
Viele junge Schweizer kennen die Welt leider nicht – und entsprechend erkennen sie auch nicht, was die Schweiz ist und wie gut unser Staat letztlich funktioniert. Mir gefällt, dass die Swisscanto Anlagestiftungen nicht nur über dieses Thema reden, sondern auch liefern. Letztes Jahr an der Anlegerversammlung in Zug wurde darüber gesprochen, wie man das Thema Vorsorge der Jugend näherbringen könnte, und inzwischen wurden Videos produziert, die diese komplexe Materie einfach erklären. So, dass Junge das sehen wollen.
Wenn Sie jetzt in diese Welt hinausblicken, was sehen Sie?
Der aufkommende Nationalismus macht mir Sorgen. Und die Gelddruckerei, die in der Finanzkrise 2008/09 begonnen hat und im Moment gerade schier unfassbare Ausmasse annimmt. Hinter diesem neuen Geld steht keinerlei Leistung, keinerlei echte Produktion. Die Kollateralschäden werden gewaltig sein.
Welchen Tipp würden Sie Ihrem Nachfolger oder Ihrer Nachfolgerin mitgeben?
Ich gebe sehr ungern Ratschläge. Aber ich hoffe, dass diese Person alles unternimmt, damit sich dieses Werk gut weiterentwickelt. Und mit gut meine ich: dass neue Produkte entwickelt werden und dass weiterhin Wachstum generiert wird.
Planen Sie den Ruhe- oder eher einen Unruhestand?
«Investment is my life» – das ist kein Beruf, den man tagsüber ein paar Stunden ausübt, sondern eine 24/7-Passion. Ich bleibe aktiv im Business, bekleide unter anderem weiterhin mein spannendes Amt als Vorsitzender des Anlagenausschusses des Staates Liechtenstein. Aber es gibt auch Neues: Erstens habe ich schon über 30 Kubikmeter Holz aus meinem Wald geholt. Sie glauben gar nicht, was für ein unglaubliches Erfolgserlebnis einem so eine Kettensäge bringen kann. Ein Portfolio konstruiert man, und wenn man es gut konstruiert, geht man mit gutem Gewissen schlafen, doch am Morgen wacht man auf und steht vielleicht vor einem Trümmerfeld, weil über Nacht Flugzeuge in Hochhäuser geflogen sind. Wenn das Portfolio gut war, weiss man immerhin, wie seine Trümmerteile aussehen. Wenn ich mit Holz arbeite, sehe ich am Abend, was ich gemacht habe, und am nächsten Morgen ist es immer noch da. Ausserdem will ich an der Uni Zürich den Kurs «Angewandte Geschichte» belegen. Geschichte fasziniert mich sehr. «Life is easy» – und eben auch nicht. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte zeigt genau dies.