Zwei Grenzgänger mit Leidenschaft für die Vorsorge

In einer bewegten Zeit treten zwei neue Stiftungsräte ihre Aufgaben an. Die Anlageexpertin Dr. Martina Müller-Kamp verbrachte die meiste Zeit ihres Berufslebens im Finanzbereich. Heute ist sie Leiterin der Geschäftseinheit Marktleistungen und Geschäftsleitungsmitglied der Graubündner Kantonalbank. Der Jurist Daniel Stürzinger ist eidg. dipl. Pensionskassenleiter und Direktionsmitglied der Ausgleichskasse 66.1 der Waadtländer Baumeister. Er leitet die Pensionskasse des Waadtländer Baumeisterverbandes. Sonja Spichtig hat mit den neuen Stiftungsräten gesprochen, um mehr über die Personen hinter den Experten zu erfahren.

Martina Müller-Kamp, Sie stammen ursprünglich aus Bonn, haben in Düsseldorf und Vaduz gearbeitet und sind seit 2019 Geschäftsleitungsmitglied der Graubündner Kantonalbank in Chur. Alle Ihre beruflichen Stationen lagen bisher am Rhein. Absicht oder Zufall?

Martina Müller-Kamp: Kompletter Zufall. Natürlich ist das meiner Familie auch aufgefallen. Spasseshalber fragen wir uns manchmal, wie lange eine Flaschenpost von Chur ins 675 Kilometer entfernte Bonn wohl unterwegs wäre. Einmal habe ich mich weiter vom Rhein entfernt und in Helsinki gelebt. Es ist sehr spannend, seinen Heimatort zu verlassen, selbst wenn man in Europa bleibt. Zwar sind wir alle Europäer, doch Menschen und Kulturen sind überall anders. Das lehrte mich Demut. Als ich vor 13 Jahren zur Graubündner Kantonalbank kam, hiess es, Mitarbeitende müssen zum Unternehmen passen – also am liebsten Bündner sein. Doch inzwischen ist klar: Gemeinsame Werte sind noch wichtiger. Als konsensorientierte Deutsche scheine ich da ganz gut zu passen. Heute sind meine Söhne und ich Schweizer und hier sehr zuhause.

Sonja Spichtig mit den beiden neuen Stiftungsräten Martina Müller-Kamp und Daniel Stürzinger.

Daniel Stürzinger, auch Sie sind ein Grenzgänger. Ursprünglich stammen Sie aus Luzern, haben in Lausanne studiert und leben heute auch dort. Wie ist es dazu gekommen?

Daniel Stürzinger: Stimmt, von Luzern nach Lausanne – das liegt nicht so auf der Hand. Bei mir waren es zwei Beweggründe: In Luzern gab es früher keine Uni, wer studieren wollte, musste also weggehen. Da ich Sprachen liebe – ursprünglich wollte ich sogar Dolmetscher werden –, schwankte ich zwischen Lausanne, Genf und Neuenburg. Als ich die Uni in Lausanne sah, war es um mich geschehen. Diese wunderschönen Gebäude direkt am See, unschlagbar. Den Röstigraben überquere ich als engagierter Fasnächtler auf jeden Fall für die Fasnacht. Seit 1990 bin ich mit den «Spöitzchnöbus» unterwegs, der einzigen «Guggemusig» mit Blockflöten. Wenn wir auf der Kapellbrücke spielen, halten die Leute jeweils an und staunen!

Eine Anlageexpertin und ein Jurist – wie sind Sie beide im Vorsorgebereich gelandet?

Beide (lachend): Purer Zufall!

Daniel Stürzinger: Ganz ehrlich? Als junger Mensch interessierte mich die berufliche Vorsorge nicht im Geringsten. In der Ausbildung gab es dazu so gut wie keine Informationen. Nachdem ich anfänglich in der AHV und im Haftpflichtbereich tätig war, unternahm ich eine längere Reise und brauchte nach meiner Rückkehr möglichst schnell eine Stelle. So landete ich im Rechtsdienst Vorsorge eines Rückversicherers. Als ich einmal in der Vorsorge drin war, merkte ich, wie spannend dieses Gebiet ist. Wahrscheinlich ist dies immer so: mit dem Wissen wächst das Interesse.

Martina Müller-Kamp: Mir macht die Thematik ganz grundsätzlich Freude. Auch wenn vieles daran heute reformbedürftig ist, finde ich das Schweizer System sehr gut. Was nicht heisst, dass es nicht auch mit schwer lösbaren Problemen konfrontiert wäre! Mit Sorge erfüllt mich die Tatsache, dass diejenige Gruppe, die von Fehlentwicklungen am meisten betroffen ist, keine Stimme hat – oder vielleicht eher: bisher darauf verzichtet, eine Stimme zu haben. Den jungen Leuten fehlen Finanzwissen und Bewusstsein dafür, was auf sie zukommt.

Sonja Spichtig spricht mit den neuen Stiftungsräten über ihre bisherigen Erfahrungen, die Herausforderungen in der Vorsorge und was die Pandemie alles verändert hat.

Was wünschen Sie der Schweiz in Bezug auf Vorsorge und Pensionskassen?

Daniel Stürzinger: Ganz klar eine Reform, die angenommen wird. Schweizerinnen und Schweizer müssen sich der Wichtigkeit des Themas bewusst werden und sich mehr damit beschäftigen. Wer weiss schon, wie viel Geld ihm im Alter bleibt – oder wie wenig? Damit sollten sie sich auseinandersetzen, aber besser nicht erst mit 50 oder 60.

Martina Müller-Kamp: Grösseres Interesse, mehr Wissen und mehr Bildung im Bereich der Vorsorge für die jungen Leute – das wünsche ich der Schweiz. Denn wie soll man sich für etwas einsetzen, was man nicht kennt. Meine Söhne – 16 und 20 Jahre alt – haben bisher relativ wenig mitbekommen in der Schule. Wir Älteren und die Institutionen müssen ebenfalls mehr Verantwortung übernehmen und uns energischer für den Erhalt eines langfristig tragbaren Vorsorgesystems einsetzen.

Welche Expertise bringen Sie in den Stiftungsrat ein? Was würden Sie gerne konkret mitgestalten?

Martina Müller-Kamp: Mein Steckenpferd ist natürlich der Anlagebereich, aber ich bringe auch im Geschäft mit Pensionskassen viel Erfahrung mit. Je länger ich in diesem Job bin, desto stärker beschäftigt mich nicht nur die Anlageseite mit ihren diesbezüglichen fachlichen Entscheidungen, sondern auch die Frage, wie wir uns bedürfnisorientiert strategisch aufstellen müssen, um langfristig Erfolg zu haben.

Daniel Stürzinger: Mit meinem Hintergrund werde ich nicht nur die Westschweiz im Stiftungsrat vertreten, sondern sicherlich auch juristische Fragen anpacken – Reglementanpassungen beispielsweise – und analysieren, was in diesem Bereich allenfalls verbessert werden könnte. Seit ich die Pensionskasse des Waadtländer Baumeisterverbandes leite, bekomme ich auch immer mehr Einblick in den Immobilienbereich, der sich hierzulande ja äusserst spannend entwickelt.

Martina Müller-Kamp, Daniel Stürzinger und Sonja Spichtig setzen sich gemeinsam dafür ein, dass das Thema Vorsorge und Pensionskasse bereits bei jungen Leuten thematisiert wird.

Welche Lebensträume möchten Sie noch verwirklichen?

Daniel Stürzinger: Es gibt noch viele Orte auf der Welt, die ich sehen möchte. Momentan hält mich das Familienleben etwas zurück, doch der Wunsch, den Rucksack zu packen und als Backpacker unterwegs zu sein, wächst spürbar. Es gibt so viel zu entdecken, zu erleben, so viele Berge zu erklettern …

Martina Müller-Kamp: Meine Wunschliste ist deutlich weniger spektakulär. Wenn ich dann einmal mehr Zeit habe – also nach der Pensionierung –, möchte ich mich gerne ehrenamtlich einbringen. Das muss nichts Grosses sein. In der Dorfbibliothek helfen oder im Sportverein die Finanzen regeln – das stelle ich mir sehr bereichernd vor.

Können Sie der Pandemie-Zeit – neben all dem Schwierigen – auch Positives abgewinnen?

Martina Müller-Kamp: Obwohl uns die Homeoffice-Situation derzeit so auf die Nerven geht, glaube ich, dass die Pandemie hier Gutes gebracht hat. Erinnern Sie sich, welch konservative Einstellung – gerade auch in den Kantonalbanken – gegenüber dem Homeoffice früher herrschte? Wenn wir jetzt sehen, wie viel Effizienz von zu Hause aus erreicht wird – da können wir wirklich von einem Digitalisierungsschub sprechen. Das wird uns in Zukunft bestimmt nützen.

Daniel Stürzinger: Ein Grossteil unserer Akten wird jetzt endlich digitalisiert. Zudem haben viele in der Pandemie Werte wiederentdeckt, die sie auch in Zukunft pflegen wollen. Heute freuen sich unsere Kunden, wenn sie uns persönlich aufsuchen dürfen. Ich kann mir vorstellen, dass wir den persönlichen Austausch in Zukunft mehr schätzen werden – er ist so abrupt abgerissen und wir vermissen ihn jetzt sehr.

Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch und wünsche Ihnen viel Freude bei Ihrer Arbeit im Stiftungsrat.

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